Mittwoch, 9. März 2016

Das Ende von „Universal Design“?

Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich mit den Auswirkungen meiner Arbeit als Informationsdesignerin. Über die Auseinandersetzung mit Menschen, deren Nutzungserfahrungen ich aus meiner eigenen Position heraus nicht nachempfinden kann, fand eine fast organische Entwicklung hin zum Inclusive Design statt, noch ohne das formal so wahrzunehmen. Die Vertiefung ins Thema der „Accessibility“ führte rasch über die Gestaltungsarbeit hinaus in eine politische Sphäre, in der „Barrierefreiheit“ das zentrale Thema ist, ideologisches Gepäck der Antidiskriminierungsbewegung inklusive. In diesem Diskurs blieb – und bleibt – Design jedoch zumeist auf der Strecke.

Und ich finde mich in einer Verteidigungsrolle wieder, und zwar auf zwei Fronten: einerseits gegenüber Vertretern von Behindertenorganisationen, die – völlig legitim – ihre maximale Anforderung durchsetzen wollen (oft unabhängig davon, wie diese Forderung ein Gestaltungs- und Nutzungskonzept im öffentlichen Raum beeinflusst). Andererseits Kollegen aus Design und Architektur, wo ich immer wieder erklären muss, dass ein Inclusive Design Prozess nichts mit Behinderung zu tun hat und „barrierefrei“ nicht heißt, auf eine kleine Gruppe von Rollstuhlfahrern Rücksicht zu nehmen.

In den letzten fünf Jahren ist „barrierefrei“ als Begriff im Mainstream angekommen (jede Bezirkszeitung schreibt über barrierefreies Wohnen), nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung. In Österreich wirkt auch das Auslaufen der Übergangsfristen für das Österreichische Bundesbehindertengleichstellungsgesetz mit Anfang 2016 sehr belebend auf den Diskurs, wenn auch zumeist im negativen Sinn.
Immer noch geht es um ein Defizit, das irgendwie ausgeglichen werden muss, eine Randgruppe, die Kosten verursacht. Wenige positive Stimmen über Qualitätsgewinn, zufriedene Kunden, und soziale Inklusion gehen unter im allgemeinen Aufruhr.

Inklusives Denken als selbstverständlicher Teil jedes Designprojekts, als unverzichtbarer Bestandteil jedes Architekturwettbewerbs, als Bedingung für Förderungen mit öffentlichen Geldern? Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Ich stelle mir die Frage, warum das so ist.

Dazu zwei Thesen:

1. Begriffe wie „Universal Design“ oder „Design for All“ zementieren das Thema als separate Disziplin ein, von der man sich als Gestalter ganz leicht distanzieren kann.

2. Die gesellschaftliche Relevanz wird nicht erkannt, weil sich Design, Architektur und Raumplanung nicht als Einheit begreifen und nicht mit einer Stimme sprechen.

So wichtig es ist, gutes Universal Design vor den Vorhang zu holen – im Sinne der Wahrnehmung von Designqualität in allen Disziplinen müssen wir unser Selbstverständnis weiterentwickeln und unsere Botschaft verbreitern: Design als Inbegriff für ganzheitliches Denken in der Gestaltung unseres Alltags. Das gelingt besonders gut, wann immer sich Architektur und Design gemeinsam als gleichwertig präsentieren. Auf dieser breiten Basis ist auch die gesellschaftliche Relevanz von gutem Design nicht mehr wegzudiskutieren.

Statement anlässlich der Universal Design Konferenz im Rahmen der Munich Creative Business Week 2016

Dienstag, 26. Januar 2016

Was heißt hier "alt"?

Es ist höchste Zeit für ein neues, positives, differenziertes  Altersbild in unserer Gesellschaft.
Dass wir immer älter werden, wird im öffentlichen Diskurs zumeist als problematische Entwicklung dargestellt. Der Kampf um Arbeitsplätze, die steigenden Gesundheitskosten, der Pflegenotstand – düstere Szenarien und pessimistische Prognosen. Drei Studien des letzten Jahres widerlegen dieses Bild aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln.  

Kein Generationenkonflikt
Welche Pläne und Vorstellungen haben 55 bis 70-Jährige von ihrem Leben? Wollen sie weiter erwerbstätig sein, sich zivilgesellschaftlich organisieren oder in der Familie engagieren? Dies waren die zentralen Fragen der Studie „Lebenspläne und Potenziale älterer Menschen beim Übergang in den Ruhestand“ des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.

Der Studie zufolge gibt es „(...) keine wissenschaftlich belegbaren Hinweise auf einen drohenden Konflikt zwischen den Generationen.“ Die Autoren sagen weiter, „Die beschleunigte Alterung der Gesellschaft ist in dieser Form historisch neuartig und stellt eine besondere Herausforderung, aber kein Bedrohungsszenario dar. (...) Es ist an der Zeit, das stereotype Defizitmodell des Alters mit einem Kompetenzmodell zu ergänzen. Das Bild eines durch Gebrechlichkeit und sozialen Rückzug gekennzeichneten Alters trifft bestenfalls auf Hochbetagte zu.“  

Lebensstile der Zukunft
Das Zukunftsinstitut in Frankfurt hat sich schon lange von den klassischen Zielgruppen verabschiedet, die eher starre Lebensmuster voraussetzten. In ihrer Studie „Lebensstile für morgen“ beschreiben sie Lebensstil-Typologien aller Altersgruppen. Sie zeigen, dass Elemente des Lebensstils nicht mehr an Alter oder Herkunft gebunden sind, sie betonen die Freiheit des Menschen, zu leben, wie er möchte. Es ist eine ganzheitliche Sicht der Person, ganz im Sinne des Design for All-Gedankens.

Eine Grundbedingung, dass sich Lebensstile bilden können, ist aber ein gewisser Grad an Wohlstand. Wer in Armut lebt und weder Geld noch Zeit für eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung hat, kann nur schwer einen bestimmten Lebensstil zum Ausdruck bringen.  

Die Bevölkerung ist weiter als die Politik
 Die Politik hinkt in ihren Reformen von Pensions- und Gesundheittssytem, von Arbeitsformen und Familienrecht der Lebensrealität von heute hinterher - jedenfalls in Österreich. Die Bevölkerung ist inzwischen aktiv damit beschäftigt, wie man das Leben mit steigendem Alter erfolgreich gestalten kann.

Ergebnisse der "Häuslbauerstudie 2014" des market-instituts bestätigen diese Entwicklung: Das barrierefreie Haus ist schon lange kein Tabu-Thema mehr. Zum Beispiel stimmen 64 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass „man nie weiß, ob man selbst durch Unfall oder Krankheit in eine Situation kommt, die barrierefreies Wohnen notwendig macht.“ 52 Prozent der Befragten berücksichtigen schon heute bei der Planung die notwendigen Grundanforderungen für barrierefreies Wohnen.

Das Bad spielt dabei eine vorrangige Rolle sowie das Fachwissen und die Erfahrungen der wichtigsten Ansprechpersonen. Das sind, laut Studie, überwiegend Produkthersteller und auch spezialisierte Unternehmen, worauf etwa zu gleichen Teilen Freunde, Messen und Baumeister_ und Architekt_innen folgen.  

Der Design-for-All-Zugang ist ein Wegweiser für erfolgreiche Angebote
Vor diesem Hintergrund ist es kaum nachvollziehbar, dass man sich immer noch dem Gedanken verweigert, grundsätzlich alle Menschen als Nutzer_innen und Konsument_innen zu sehen. Die Schubladisierung nach Kategorien von Alter oder Behinderung ist überholt. Zukunftsweisend ist der Fokus auf Qualität – für Alle.

Mittwoch, 19. März 2014

"We believe that good design is not exclusive but inclusive" (eone)

Was für eine fantastische Aussage. "The Bradley" ist ein Design for All-Statement der Sonderklasse. Eine taktile Armbanduhr mit will-haben-Charakter für Alle. Inspiriert von dem US-Soldaten Bradley Snyder, der nach einer Explosion in Afghanistan erblindete, entwickelt von eone, finanziert durch crowd funding über die Plattform Kickstarter, nominiert für Designs of the Year 2014 vom Design Museum London.
Anschauen und genießen auf der Website von eone, die Design Story ist auf der Kickstarter Webseite nachzulesen.

Sneak preview hier (Foto © eone):

Foto der taktilen Uhr: Edelstahl Gehäuse mit edlen erhabenen Markierungen. Der Minutenzeiger ist eine Kugel, die am Ziffernblatt im Kreis läuft, der Stundenzeiger ist eine Kugel, die entlang des äußeren Randes läuft.
The Bradley - will-haben!



Freitag, 28. Februar 2014

Nutzungsqualität – das neue (alte) Selbstverständnis von gutem Design

Der Begriff „Design“ ist in unseren Breiten im Allgemeinen mit oberflächlicher Bearbeitung eines Produkts verbunden, mit kurzlebigen Modeerscheinungen, mit hohen Preisen. Schade, denn gutes Design steht grundsätzlich für ein gestaltetes Objekt, das denjenigen, die das Objekt nutzen, Freude bereitet. Das kann offensichtliche und bewusste Freude an der Ästhetik sein, aber auch der unbewusste Komfort, die Leichtigkeit im Umgang mit dem „Ding“, der Situation, dem Gebäude.

Mehr als Usability
Es geht also um wesentlich mehr als die reine „Usability“, die Funktion. Besonders im Zusammenhang mit Barrierefreiheit wird die Gestaltung jedoch oftmals darauf reduziert, so, als wäre sie ein notwendiges Übel und nicht integraler Teil des Produkts oder der Dienstleistung. Diese entweder/oder-Diskussion dominiert die Grundhaltung, wenn es um Nutzungsanforderungen für Alle geht. Sogar der oft strapazierte Ausdruck „Form follows Function“ (Form folgt Funktion) ist in seiner Auslegung nicht so eindimensional wie es klingt.

“Pleasant things work better“, Don Norman

Auch die Ästhetik hat Funktion, sie spricht Emotionen an (das gefällt mir, das passt zu mir) und gibt Hinweise zur Funktion über Materialauswahl oder bewusste Platzierung von Gestaltungselementen. Auch Don Norman, einer der Pioniere von Usability im Zusammenhang mit technischen Geräten, kommt nach Jahrzehnten der Usabilityforschung zu dem Schluss, dass „angenehme Dinge besser funktionieren“, die Gesamtsituation schlussendlich über die Qualität der Funktion entscheidet.   

Weder Reduktion auf Funktion noch Behübschung der Oberfläche
Die Nutzungsqualität, die hier gemeint ist, definiert die Gesamtsituation, für die ein Objekt oder ein Raum gestaltet wird. Mehr Bewegungsraum ist ein Komfortkriterium genauso wie die mühelose Bedienung einer Armatur, die Möglichkeit, den Kinderwagen vor die Wohnung zu stellen, sich selbstständig zu orientieren oder das Verfallsdatum eines Lebensmittels lesen zu können. Kaum vorstellbar, dass sich jemand dagegen wehrt, eine Situation grundsätzlich komfortabler zu gestalten, trotzdem ist das an der Tagesordnung.
Nutzungsqualität offenbart sich in ihrer zumeist unsichtbaren Mühelosigkeit, Anpassbarkeit für unterschiedliche Anforderungen und dem Grundverständnis, dass attraktive Gestaltung allen Menschen zusteht.

Donnerstag, 27. Juni 2013

Tourism for All Conference

The fourth tourism for all conference - IV Turismo para todos -  is currently taking place in Avila, Spain, a medieval city and first ever winner of the Access City Award.

So far it's been mostly about "for All", but "Design" is sorely missing! From my point of view – I didn't get here until the afternoon of the first day - the instances when design was mentioned can be counted on one hand:
  • A brave attempt to explain the Design for All approach by EIDD President Finn Petrén when he chaired the policy session on the first evening, 
  • a wake-up call from Prof. Simon Darcy, UTS Business School, University of Technology, Sydney, talking about the experience economy and how the design of tourist services, and finally
  • Peter Neumann, who highlighted the fact that we are currently stuck with "Accessible Tourism", but need to move on towards "Tourism for All". 
When we talk about Design for All, we mean just that. An environment, a service, that is designed to work for all who wish to use it. Attractive, easy, enjoyable - with all the benefits attached to these attributes: economic opportunities, design challenges and an inclusive society.

Conference and view of the city walls